Dienstag, 14. September 2010

Möbel machen Leute, der Hartz IV Stuhl macht Möbelbauer

Interview am 25. Juni 2010
durchgeführt von Brigitta Lentz

Dieser Text kann gerne zitiert werden oder in Auszügen auch für andere Medien verwendet werden.
Bitte wenden Sie sich vorher an brigitta.lentz (at) myamd.de

Beim Eintreten in die Werkstatt der Volkshochschule City West in Berlin wird die Neugier geweckt. Sechs ganz unterschiedliche Menschen stehen sich gegenüber. Nervöse Blicke werden ausgetauscht. Als Le van Bo eintritt und zur Runde an den Tisch bittet, kommt es einem vor, wie in einer Selbsthilfegruppe vom Arbeitsamt. Le van Bo wäre demnach der Psychologe mit Tipps und Tricks für erfolgreiches Bewerben. Mit seinem unscheinbaren Äußeren strahlt er fast Buddha gleich eine Ruhe und Gelassenheit aus, die jedwede Anspannung und Selbstzweifel verpuffen lässt. Als er beginnt, von seinem Projekt zu erzählen, wird die Atmosphäre schlagartig locker und das Mysterium um den begehrten heißen Stuhl, der nur aus einem Brett entsteht, langsam aufgedröselt. Ein Realist erzählt.

Was machst du eigentlich beruflich?

Ich bin Architekt. Ich habe hier in Berlin an der Beuth-Hochschule studiert und arbeite jetzt in einer Firma, die sich mit Marketing und Innenarchitektur beschäftigt.

War das ein langgehegter Wunsch von dir?

Nein nicht wirklich. Ehrlich gesagt kam das einfach so. Irgendjemand hat mir gesagt, mach dein Abi gut, also habe ich ein gutes Abi gemacht und mit dem Job war das genauso, es kam einfach. Ich habe immer schon viel nebenbei gemacht. Während des Studiums habe ich zum Beispiel meine eigene Werbeagentur gegründet. Musik habe ich auch gemacht, war sogar auf VIVA, mit meiner eigenen Band. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wie stehst du zu Design? War dir das beim Entwickeln des Hartz IV Stuhls wichtig?

Design wird total überbewertet. Schon die Bezeichnung „Designermöbel“ oder „Designerstück“ finde ich total komisch. Man braucht nur in ein Aldi-Prospekt zu schauen und sogar dort findet man den Begriff „Designerjacke“. Ich frage mich dann immer, was das überhaupt bedeuten soll. Bedeutet es, dass es jemand gestaltet hat? Ein Designer ist nämlich ein Gestalter. Oder bedeutet es, dass es jemand Bekanntes designt hat. Dann müsste allerdings der Name darunter stehen. Ich finde die Bezeichnung „Designerstück“ manchmal einfach nicht ganz schlüssig.

Würdest du deinen Hartz IV Stuhl als Designer-Möbel bezeichnen?

Es hat viel mit der Gestaltungsgeschichte und der Designgeschichte Deutschlands zutun, von daher ist es schon ein Möbel, das sich mit Design auseinandersetzt. Designermöbel heute haben ja die Bedeutung, ein besonders teures und elitäres Möbelstück zu sein und der Fall ist nun mal nicht immer gegeben. Der Name ist einfach schlecht, weil es immer so klingt, als ob es von einem besonderen Designer gemacht wurde. Wenn das der Fall wäre, würde man doch einfach den Designer nennen. Man sagt ja auch nicht zu einem Picasso, das ist ein Künstlerbild, sondern das ist ein Picasso.

Warum nennst du deinen Stuhl dann nicht van Bo-Stuhl?

Weil ich mich nicht als Designer betrachte. Ich habe das nicht studiert und habe auch keinerlei Erfahrung darin, Möbel oder ähnliches zu designen. Ich bin lediglich ein großer Fan von Stühlen und auch Lampen. Ich sammle sie leidenschaftlich gerne. Ich würde mir doof vorkommen, mich als Designer zu betiteln, wo ich doch eigentlich keine Ahnung davon habe.

Was war also deine Intention so ein Mobiliar zu kreieren? Und warum einen Stuhl?

Der Stuhl hat für mich eine ganz bestimmte Bedeutung, jedenfalls im Vergleich zu anderen Alltagsgegenständen wie Türklinken, Schränken oder Garderoben. Der Stuhl sagt dir nämlich wie du sitzt. Allein die Höhe und der Winkel bestimmen, ob du gerade sitzt, ob du einen Bauch hast, wie in einem Lounge-Sessel zum Beispiel, oder ein Doppelkinn. Er bestimmt die Haltung, die du einnimmst. Vor hunderten von Jahren konnten sich nur die Reichen Stühle leisten und in einigen Kulturen heute, zum Beispiel auch in Laos, sitzt man auf dem Boden, ohne Stuhl. Ich bin schlichtweg einfach fasziniert von ihnen!

Bist du es dann ganz klassisch angegangen und hast eine Skizze entworfen?

Die Form hatte ich zuerst im Kopf. Der Gedanke, wie ich diesen Stuhl mit nur einem Brett hinbekomme, kam erst danach. Von diesen speziellen Verbindungen, die so ein Stuhl braucht, habe ich gar keine Ahnung. Das ist wirkliches Tischler-Fachwissen. Ich habe mich damals hier an der Volkshochschule beraten lassen, wie es funktionieren könnte. Das ist kein Geheimnis und deshalb kann ihn auch jeder selbst bauen.

Warum der Name Hartz IV?

Ich habe früher selber Sozialleistungen bekommen. Ich stamme aus einfachen Verhältnissen und diese Erfahrung schwingt mit in dem Projekt. Als ich jung war, habe ich Wohlstand immer mit Geld in Verbindung gebracht. Da wir nie viel Geld hatten, dachte ich immer, mir fehlt etwas. Heute habe ich Geld und kann mir alle Sachen leisten, die ich möchte. Dabei hat eine schön eingerichtete Wohnung lediglich mit Stil und Geschmack zu tun und weniger mit Geld, dass weiß ich jetzt. Man muss wissen, wo man gewisse Dinge bekommt. Auf dem Flohmarkt zum Beispiel lassen sich richtige Schätze finden und das für ganz wenig Geld.

Dein Vorhaben ist also, dass du allen Menschen mit wenig Geld, etwas Schönes bieten möchtest.

Ja, ich möchte allen Menschen dieses Glücksgefühl mitgeben, das ich bei der Fertigstellung meines ersten Sessels empfunden habe. Es ist einfach großartig zu wissen, dass du das selbst gemacht hast, mit eigenen Händen. Die Leute geben dir positives Feedback und man bekommt Komplimente und Anerkennung. Man wird richtig stolz. Dann kommt auf einmal das Fernsehen und jeder will etwas von dir wissen. Ein tolles Gefühl, wenn man bedenkt, dass ich eigentlich nichts Großartiges gemacht habe. Bei diesem Projekt geht es weniger um das Möbelstück selbst, als um die Überwindung, dass die Leute einfach über ihren Schatten springen und es anpacken. Handwerklich ist der Stuhl wirklich keine Mondlandung, aber das Gefühl übersteigt einfach alles. Deswegen ist die Botschaft auch: Jeder kann es!

Das klingt ein wenig nach Sozialarbeit. Warum machst du das alles kostenlos und scheinbar ohne jeglichen Eigennutzen?

Der Entwurf ist natürlich patentiert und ich hätte schon stark etwas dagegen, wenn ihn jemand widerrechtlich für kommerzielle Zwecke nutzen würde, vor allem ohne mir etwas abzugeben. Ich nehme deswegen kein Geld, weil ich denke, dass ich selbst von diesem Staat Deutschland viel bekommen habe. Eine gute Schul- und Ausbildung, BaföG und Sozialhilfe. Auch die Gesellschaft gibt mir viel und zwar jeden Tag in Form von Bussen, U-Bahnen, Fahrradwegen, kostenlosen Autobahnen. Klar zahlt man Steuern und trotzdem habe ich viel bekommen und konnte mich nie beschweren.

Also ist das dein Dank an die Gesellschaft?

Schon, ja. Ich bin jetzt aber auch kein Samariter oder Prophet und eine Hilfsorganisation habe ich auch nicht gegründet. Ich meine, real betrachtet habe ich ja selber nicht wirklich viel gemacht. Die Form von dem Sessel ist zum Beispiel aus dem Bauhaus, die haben sich andere kluge Köpfe ausgedacht und das Holz habe ich auch nicht erfunden. Ich wüsste also nicht wofür ich Geld nehmen sollte.

Der Bauplan war aber deine Erfindung und wäre definitiv vermarktbar.

Das ist richtig. Trotzdem ist es bis jetzt nur so, dass ich mehr Geld investiere, als es zu verdienen. Ich habe Zeit investiert für die Entwicklung und der Messestand auf der DMY ist auch nicht umsonst. Diese Ausgaben sind natürlich schon ungünstig und deshalb überlege ich gerade, wie ich die wieder reinkriege. Wir reden hier immerhin über ein paar tausend Euro.

Die Resonanz ist also durchweg positiv. Wie gehst du damit um, wenn die Aufmerksamkeit größer wird und das Projekt vielleicht in eine kommerzielle Richtung driftet?

Also ich kann mir durchaus sehr gut vorstellen, einmal Möbel zu entwerfen, die man richtig kaufen kann. Im Moment interessiert sich jedoch noch kein Hersteller für mich. Wenn sich das ändern sollte, ist das natürlich eine tolle Entwicklung für mich. Manche denken wirklich ich bin Kommunist oder super sozial eingestellt. Dabei verdiene ich doch auch mein Geld und zwar mit großen Firmen wie Lufthansa und BMW. Ich habe weiß Gott nichts zu verschenken. Sicherlich ist das hier ein gemeinnütziges Projekt, aber auch ich muss sehen, wo ich bleibe.

Würdest du von dir selbst behaupten, den amerikanischen Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär, in Deutschland gelebt zu haben?

Ich war nicht mal Tellerwäscher. Ich startete als Flüchtlingskind, was noch mal einen Zacken schärfer ist, denke ich. Und Millionär bin ich nur in Form von E-Mails und Bauplänen, die ich verschicke (grinst).

Aber man könnte schon sagen, dass du es geschafft hast.

Wenn man das so sagen möchte. Ich bin auf jeden Fall stolz auf das, was ich geschafft habe. Vielleicht könnte man das den deutschen Traum nennen. Ich versuche zu träumen und ich versuche zu leben. Und ich versuche, dass was da ist, anzuerkennen und das Beste daraus zu machen.

Steht die Familie vor der beruflichen Karriere?

Auf jeden Fall. Der Beruf ist nicht wichtig. Βerufung vielleicht, aber nicht der Beruf. Das was zählt, ist das, was übrig bleibt am Ende. Letztendlich ist alles vergänglich. Man versucht zwar Spuren zu hinterlassen und das gelingt auch mehr oder weniger. Nach ein zwei drei oder fünf Jahren bist du allerdings in Vergessenheit geraten. Wie in der Wüste, wo der Wind deine Spuren im Sand verwischt. Die Familie aber wird immer bei dir sein, von daher hat sie einen enorm hohen Stellenwert für mich.

Würdest du dein Hartz IV Projekt auch als vergänglich bezeichnen?

Das wird die Zukunft zeigen. Wenn die Volkshochschulen in Deutschland diese Idee aufgreifen und in ihr Programm übernehmen, würde ich sagen, dass es keine Eintagsfliege war. Die Nachhaltigkeit sollte schon gegeben sein. Ich finde, dass die Idee Potenzial hat, deshalb ist meine Internetseite so wichtig. Zwar kommt eine gewisse Dynamik und auch Schnelllebigkeit auf, dennoch funktioniert sie als virtuelles Gedächtnis. Deshalb poste ich alle Fotos von den Leuten, die den Stuhl gebaut haben, um ihren Erfolg zu dokumentieren. Das kann andere natürlich dazu anregen, den Stuhl selbst zu bauen. Ein Kreislauf, an dem jeder teilhaben kann.

Du hast dein Projekt auf der DMY in Berlin ausgestellt. Hartz IV Empfänger sind wohl nicht wirklich die angesprochene Zielgruppe?

In der Fachpresse wurde ich bis jetzt kein einziges Mal erwähnt. Ich habe zwar viele Interviews gegeben, aber keines für ein Künstler- oder Designmagazin. Ich glaube, dass sich die Designerwelt nicht für mich interessiert. Das Interesse von Hartz IV Empfängern ist aber durchaus da. Der Begriff Hartz IV ist ein umfassender Begriff für verschiedenste Menschen. Da gibt es natürlich auch faule Säcke, die den Arsch nicht hoch bekommen. Denen schicke ich aber auch keinen Bauplan.

Gibt es da spezielle Bedingungen, die man erfüllen muss, um an den Bauplan zu gelangen?

Natürlich. Sozusagen ein kleiner Fragekatalog, der beantwortet werden will. Der Name ist wichtig und auch in welcher Stadt man lebt. Die Beweggründe, diesen Stuhl zu bauen, interessieren mich besonders. Außerdem muss derjenige bereit sein, seine Erfahrungen beim Bauen des Stuhls mit mir und anderen zu teilen. Das heißt, es werden Fotos verlangt von dem Erbauer und seinem Stuhl und die werden dann auch auf der Homepage veröffentlicht. Viele wollen das nicht. Es würde auch reichen, nur ein Bild vom Stuhl zu schicken und ihre persönlichen Angaben müssen ja auch nicht stimmen. Aber ich verlange Offenheit.
Es ist ein Geben und Nehmen und darauf haben einige gar keine Lust. Diesen Leuten helfe ich dann aber auch nicht und schicke dann auch keinen Bauplan. Schließlich lebe ich von den Geschichten, die bei diesem Projekt herauskommen. Das motiviert mich, so was überhaupt zu machen.

Also möchtest du eine Art Community gründen?

Ich möchte eine gesunde Gesellschaft, der es nicht immer nur ums Nehmen geht. Dieser Gedanke ist ein Grund, weswegen ich die „Robin Wood“ Patenschaft gegründet habe. Der Kurs an der VHS kostet 70 Euro, die gerade bei sozial Schwachen nun mal nicht da sind. Für die kostet er mit Ermäßigung 56 Euro, aber auch das ist noch eine Menge Geld. Mit der „Robin Wood“ Patenschaft kannst du einem armen Menschen einen Wunsch erfüllen und die Kosten des Kurses übernehmen. Die Aktion kommt gut an und das Ende vom Lied ist, dass Menschen, die mehr haben anderen Menschen, die weniger haben, etwas geben. Ohne sich überhaupt zu kennen. Das ist doch phänomenal!

Wie sieht es mit den 24 Euro für das Holz aus?

Die müssen sie selber bezahlen.

Das Bild im Internet zeigt deinen Stuhl mit Sitz- und Lehnkissen. Das steigert den Preis doch sicherlich weit über das Budget?

Der Stuhl ist so konzipiert, dass da ein normales Kissen, zum Beispiel dein Schlafkissen reinpasst. Man musst also nichts Neues dazukaufen, sondern kannst die Dinge, die du zu Hause hast, verwenden. Wenn du dir allerdings ein Kissen mit Lederbezug anfertigen lässt, kostet das schnell mal 300 Euro. Aber das muss ja nicht sein.

Planst du zukünftig weitere, günstige Möbel zu entwerfen, die man dann selber bauen kann?

Was mich momentan beschäftigt, sind Leute, die in einer Einzimmer Wohnung leben. Da ist es oft so, dass man entweder ein Bett oder eine Couch hat. Selten aber beides. Und wenn doch, kommt spätestens der Esstisch zu kurz. Da Deutschland aber ein Land der Esskultur ist, das habe ich jedenfalls hier gelernt, hat jeder normale Haushalt einen freistehenden Esstisch.
Es ist ein schönes Ritual abends zusammen zu essen. Man bespricht den Tag und auch Probleme. Die Tischhöhe ist optimal, um sich zu unterhalten. Damit Singles in ihren Einzimmerwohnungen darauf nicht verzichten müssen und auch nicht auf Couch und Bett, habe ich eine Kombination daraus entwickelt. Ich nenne es Single Wohnungs-Sofa, kurz SiWo-Sofa.

Die Faszination Stuhl ist also schon vorbei?

Nein ganz im Gegenteil. Ich bastle auch gerade an einem Küchenstuhl, den jeder Laie günstig selber bauen kann.

Eine letzte Frage: Was wünscht du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass sich dieses Möbel verselbstständigt und in allen freien Werkstätten und Hochschulen zum Bau angeboten wird.